Urahn aller LEICA-Modelle ist eine Kamera, die Oskar Barnack etwa 1913/14 konstruierte und von der wahrscheinlich nur zwei Exemplare (es gibt Gerüchte über ein drittes Exemplar) gebaut wurden. Eines davon wird im Leitz-Museum in Wetzlar aufbewahrt, während das andere, vonBarnack selbst benutzte Exemplar, zunächst Im Deutschen Museum in München den Krieg überstand und dann in einer Auktion verkauft wurde. Es befindet sich jetzt höchstwahrscheinlich gut versteckt in einer privaten Sammlung.
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Auch wenn Barnack zunächst nur beabsichtigte, ein Gerät für Versuche mit Kinofilm zu schaffen, so ist doch anzunehmen, daß Leitz von Anfang an Serienfertigung in Betracht zog, denn im Mai 1914 wurde ein Patentantrag für einige der wichtigsten mechanischen Komponenten dieser Kamera eingereicht.
Der Mechanismus der Ur-LEICA war einfach und leistungsfähig zugleich: Der Filmtransportknopf zog den Film eine Bildlänge vorwärts und spannte am Ende einer Umdrehung den Verschluss. Das Ganzmetallgehäuse war äußerst kompakt, und überdies war das Objektiv versenkbar, so daß die Kamera sehr handlich war. Sie war – wie man heute sagen würde – ergonomisch durchdacht.
Die Ur-Leica in der Praxis
In der Praxis war die Handhabung der Kamera allerdings nicht so einfach, denn zum einen mußte der Film in der Dunkelkammer eingelegt werden, und zum anderen war es notwendig, das Objektiv während des Filmtransportes und Verschlußäufzuges abzudecken, da der Schlitz im Verschlußrollo beim Spannen offen blieb. Dennoch wies der Prototyp bereits die wichtigsten Merkmale der zukünftigen LEICA auf: das Bildformat von 24×36 mm auf perforiertem 35-mm-Kinofilm, die mechanischen Bauelemente des Verschlusses, die Anordnung der Bedienungselemente auf der Deckplatte und den Zubehörschuh, der bei dem Prototyp den Sucher aufnahm.
Die Abmessungen des Gehäuses waren so berechnet, daß es gerade die wenigen Teile der einfachen Mechanik aufnehmen konnte. Das Gehäuse der Ur-LEICA war daher kompakter als das der späteren Serienmodelle: 128 mm Länge, 28 mm Breite und 53 mm Höhe (ohne Bedienungselemente) gegenüber 133/29/55 mm bei der LEICA I.
Ur-Leica Prototyp hatte zwei Belichtungszeiten
Der erste Prototyp hatte auf jeder Seite einen Knopf zum Anbringen eines Tragriemens; diese Knöpfe waren bei den ersten Serienmodellen nicht vorhanden und wurden (in veränderter Form) erst bei der LEICA III wieder eingeführt. Der Verschluss bestand aus einem einzigen Vorhang mit einem Fenster von 38 mm Breite, d. h. also, er war breiter als das Bildformat. Der Vorhang war an beiden Enden an jeweils einer Aufwickeltrommel befestigt und wurde durch eine Feder bewegt. Die Ablaufgeschwindigkeit des Verschlusses und damit die Belichtungszeit wurden durch die Federspannung bestimmt, die mittels eines Knopfes neben dem Zubehörschuh eingestellt werden konnte. Das einzige noch vorhandene Modell ist nicht funktionsfähig, so daß es nicht mehr möglich ist, die genauen Belichtungszeiten festzustellen. Wahrscheinlich gab es zwei Belichtungszeiten: 1/25 und 1/40 s. Kürzere Belichtungszeiten sind wegen des ziemlich breiten Fensters unwahrscheinlich.
Ein Bildzähler befand sich auf der Frontseite der Kamera und zeigte bis zu 50 Aufnahmen an. Der Auslöser war in der Mitte des Filmtransportknopfes angebracht, der sich am oberen Ende der Aufwickelspule befand. Diese Anordnung des Auslösers wurde Jahrzehnte später bei der M3 (1954) wieder aufgegriffen. Zum Einlegen des Films ließ sich der Kameraboden, der durch eine große Schraube befestigt war, abnehmen.
Die Ur-Leica braucht ein Objektiv
Eines der wichtigsten Probleme für Barnack war die Beschaffung eines geeigneten Objektivs. Da das Bildformat genau doppelt so groß war wie das des Kinofilms, waren die für Filmkameras gebräuchlichen Objektive nicht verwendbar, wie sich bei ersten Versuchen mit einem Kino-Tessar gezeigt hatte. Das Objektiv war versenkbar in einer Fassung mit Einstellschnecke montiert.
Die Blende wurde mit einem kleinen Hebel, der durch einen Schlitz in der Fassung herausragte, eingestellt. An der Vorderseite des Objektivs befand sich ein schwenkbarer Deckel, mit dem das Objektiv abgedeckt werden mußte, wenn der Verschluss gespannt und der Film transportiert wurde. Trotz dieses unpraktischen Verfahrens machte Barnack mit dieser Kamera viele gute Aufnahmen von außergewöhnlichem journalistischem Wert. Als ein Vorläufer des modernen Bildberichterstatters stellte der Erfinder der LEICA die großen Möglichkeiten der Kleinbildfotografie unter Beweis.
Auf der Rückseite des Gehäuses war das Firmensignet von Leitz in Form einer Kondensorlinse angebracht, das 1911 als Warenzeichen eingetragen worden war. Interessant ist auch, daß die Rückwand des ersten Prototyps von vier Schrauben gehalten wurde; vermutlich mußten sie abgenommen werden, um unterschiedliche Objektive im Versuch genau justieren zu können.
Es ist heute schwer zu sagen, welche Art von Sucher auf dieser Kamera verwendet wurde, aber der vorhandene Zubehörschuh läßt vermuten, daß verschiedene Typen (Rahmensucher und optische Sucher) getestet wurden.
Um unzähligen Anfragen nachzukommen, hat Leitz Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre einige hundert Repliken dieses Prototyps hergestellt, die die Inschrift „Nachbildung der Ur-Leica“ tragen.
Quellen, Literatur und verweisende Seiten
- Leica: Die ersten sechzig Jahre
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